Wie sieht die Welt im Jahre 2050 aus?



Im Jahre 1559 ist endlich Frieden in Frankreich. Obwohl die Ausgangslage für Frankreich in den Friedensverhandlungen mit England schlecht ist, gelingt es Frankreich die Stadt Calais in seinem Besitz zu behalten. Der Frieden wird in Calais mit einem großen Fest gefeiert. Es wird gegessen, getanzt und getrunken.

Höhepunkt der Feierlichkeiten ist ein Turnierkampf, in dem nur mit stumpfen Waffen gekämpft wird. Doch dann kommt es während des Kampfes zu einem tragischen Unfall. Als der jüngere schottische General Montgomery und der ältere französische König Heinrich II, gegeneinander kämpfen, bricht versehentlich die Lanze Montgomerys und der gesplitterte Stumpf bohrt sich unter dem goldenen Helm in das Auge Heinrich II, der kurz darauf verstirbt.


Dieser Tod macht einen Arzt aus Lyon weltberühmt. Michel de Nostredame, bekannt unter dem Namen Nostradamus, gibt seit einigen Jahren seine Prophezeiungen heraus. Und nicht wenige meinen, dass er diesen Tod drei Jahre zuvor exakt vorher gesagt hat. In der Prophezeiung, die er damals herausgegeben hat, steht geschrieben: 

Der junge Löwe wird den alten besiegen, Auf dem Schlachtfeld in einem einzigen Duell: Im goldenen Käfig wird er ihm die Augen ausstechen, Zwei Armeen einig, dann wird er einen grausamen Tod sterben.


Der Mann, der den Tod des Königs so genau beschrieben hat, ist mit einem Schlag sehr populär. Die Prophezeiungen, die in sogenannten Almanachen herausgegeben werden, machen Nostradamus weltbekannt. Alle wollen wissen, was morgen passieren wird und was er in düsteren Worten prophezeit. Denn seit Urzeiten sind die Menschen neugierig auf die Zukunft. Wahrsager und Scharlatane haben dies zu allen Zeiten kräftig ausgenutzt.


Die nachfolgende Auslegung einer Studie, die auf heutiger Zukunftsforschung beruht, ist davon meilenweit entfernt. Die heutige Zukunftsforschung basiert auf Hunderten von statischen Daten, wie Inflationsentwicklung, Rohstoffpreise, Bevölkerungsentwicklung, Lebenserwartung, medizinischer Versorgung, politischer Stabilität und vieles mehr. Alle diese Rohdaten werden kombiniert und so entstehen mögliche Szenarien. Die nachfolgenden fünf Szenarien basieren auf der Studie „Delivering Tomorrow: Logistik 2050“, die Deutsche Post DHL im Februar 2012 veröffentlicht hat und die ich umfassend weiter bearbeitet habe. 


Bevor ich auf ein Szenario eingehe, wird eine dem Szenario zugrunde liegende Entwicklung, ein Treiber des Szenarios, beschrieben. Auch dies ist so nicht Teil der Studie. Um hier ein Beispiel zu geben: Wachstum ist ein Grundstreben des Menschen. Menschen wollen, dass es ist ihnen in Zukunft besser geht als heute. Wachstum ist ein Urtrieb für Menschen um sich anzustrengen. Doch was passiert, wenn diesem Wachstum kein Einhalt geboten wird?

Aus diesem Treiber "Wachstum" entwickeln Forscher ein Szenario, dass sie „Ungezügelter Materialismus“, nennen, d.h. sie beschäftigen sich mit der Frage, was passiert, wenn diesem Drang nach dem „Besser-Höher-Weiter“ keine Grenzen gesetzt werden. Ich habe fünf elementare Treiber definiert und sie einem Szenario zugeordnet, das die Entwicklung in einer gewissen Dimension überzeichnet. 


Natürlich wird keines der nachfolgend beschriebenen Szenarien so eintreffen. Die gezeigten Szenarien sind in gewisser Hinsicht extreme Pole einer möglichen Welt, die es ermöglichen sollen, drastisch in die Zukunft zu blicken. Nicht alle hier dargestellten Beschreibungen sind direkt aus der Studie entnommen sondern ich habe sie mit anderen Daten aus meiner Arbeit kombiniert. Insbesondere dort, wo die Studie aus sehr wenigen Blinkwinkeln eine Entwicklung betrachtet hat, wie z.B. bei den individualisierten Lebensstilen, habe ich das Szenario erweitert.


Die 5 von mir beschriebenen Szenarien stehen nebeneinander. Einge zeichnen ein wesentlich positiveres Bild als andere Szenarien, die viel düsterer sind. Die reale Welt im Jahr 2050 wird durch all diese Szenarien geprägt sein, durch einige mehr, durch andere weniger. Das hängt damit zusammen, welche Wucht und Geschwindigkeit die einzelnen Treiber bekommen und welche singulären Ereignisse diese Treiber noch verstärken. Nicht wenige Menschen behaupten, dass die Geschwindigkeit der Veränderung in unserer Welt rapide zunimmt. Frank Appel, der damalige CEO von Deutsche Post DHL, sagte bei der Vorstellung der Studie „Wir leben im Zeitalter des Unvorhersehbaren“.


Es kann einfach zuviel passieren, das wir nicht im Entferntesten vorahnen können. Um die Unvorhersehbarkeit einer solchen Vision zu verdeutlichen, kann man von heute, dem Jahr 2012, 38 Jahre zurückblicken statt 38 Jahre nach vorne in das Jahr 2050 zu schauen. Im Jahre 1974 wurde die ständige Vertretung der DDR in der Bundesrepublik Deutschland eingerichtet. Alle sprachen von der Normalisierung der Beziehungen zwischen der BRD und DDR. Die Wiederannäherung beider Staaten war das politische Schlagwort der Zeit. Jeder, der prophezeit hätte, es gäbe im Jahre 2012 keine DDR mehr und alle wären in einem Deutschland friedlich vereint, wäre verlacht worden. In Portugal, heute Mitglied der Europäischen Union, herrschte noch eine Diktatur. Hätte jemand so visionär sein können und prophezeien können, dass dort 38 Jahre später eine gemeinschaftliche Währung existiert, die mit 16 anderen Staaten geteilt wird?


Eine Partei „Die Grünen“ gibt es noch nicht, auch die Firma Microsoft ist noch nicht gegründet. Wer wollte im Jahre 1974 vorhersagen, dass diese kleine Firma Microsoft, ein Hersteller von Betriebssystemsoftware für damals sehr wenig exisiterende Personalcomputer, über viele Jahrhunderte lang zu einer der größten IT-Firmen der Welt aufsteigen würde.


Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, denn allen computergestützten Szenarien ist gemein, dass sie zwar Zeitreihen fortschreiben und Entwicklungen statistisch kombinieren, aber nicht das Abrupte, das Überraschende in ihren Entwicklungen mit einfließen lassen können. Das Überraschende hat als Grundeigenschaft, dass man es nicht erwartet und nicht kennt. So muss man sich also vergegenwärtigen, dass unsere Zukunft zum einen sehr wohl durch das Fortschreiben bestimmter Entwicklungen, die sich über Jahre hinweg anbahnen, bestimmt ist, aber andererseits auch diskrete Schritte unternimmt. Wir sind auch plötzlichen Veränderungen ausgesetzt, die über Nacht unsere Geschäftsbasis auf eine neue Grundlage stellen. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass ein Mensch im Jahre 2050 nur mitleidig lächelt, wenn er die nachfolgenden Szenarien sieht.